Goetheschule informiert sich bei Osteuropa-Experten über den Ukrainekrieg Vielfältige Informationen mit interessanten Perspektiven zum Krieg in der Ukraine erhielten Schülerinnen und Schüler der Goetheschule bei einer digitalen Informationsveranstaltung, die am vergangenen Dienstag (29. März 2022) stattfand. Die Osteuropa-Experten Hans-Jürgen Bömelburg und Laura Loew vom Gießener Zentrum östliches Europa (GIZO) spannten einen weiten geschichtlichen Bogen und offenbarten den 50 interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern neue, unbekannte Dimensionen zum Krieg gegen die Ukraine. |
Von der Kiewer Rus und zur Entstehung der modernen Ukraine
In seinem Vortrag beschäftigte sich Hans-Jürgen Bömelburg vor allem mit der Geschichte der Ukraine und den daraus resultierenden ukrainisch-russischen Verflechtungen. Die Geschichte der Ukraine reiche laut Bömelburg zurück in die Zeit der „Kiewer Rus“, die im Mittelalter ein Großreich bildeten, das sich von den heutigen Städten Kiew bis Moskau erstreckte. Herr Bömelburg, der an der Justus-Liebig-Universität Gießen als Professor für osteuropäische Geschichte arbeitet und ein ausgewiesener Osteuropa-Experte ist, ging aber auf die moderne Geschichte der Ukraine ein. So sei sie staatlich 1918 nach dem Ersten Weltkrieg entstanden und 1991 von der Sowjetunion unabhängig geworden.
Die Wiederherstellung der Sowjetunion als Putins Kriegsziel
Eine zentrale Ursache für das Verständnis des Ukrainekriegs bilde laut Herrn Bömelburg das Geschichtsverständnis von Wladimir Putin, das seine politischen Handlungen seit seinem Machtantritt im Jahr 2000 begleite. Der Professor für osteuropäische Geschichte erklärte hierzu, dass der russische Präsident in verschiedenen Reden deutlich gemacht habe, dass er die Staatlichkeit der Ukraine ablehne und die Auflösung der Sowjetunion als historischen Fehler betrachte. Die Sowjetunion wiederherzustellen und damit die Unabhängigkeit der Ukraine zu beenden, seien daher laut Bömelburg zentrale Ziele von Wladimir Putin im aktuellen Krieg. Diesem Geschichtsbild von Wladimir Putin widersprach Bömelburg. So erklärte er, dass die Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit volle Staatlichkeit besitze und sich diese in den letzten 20 Jahren durch verschiedene demokratische Wechsel gezeigt habe.
Was weiß die russische Bevölkerung über den Ukrainekrieg?
Mit den Auswirkungen des Krieges auf die russische Bevölkerung und dem Einfluss der russischen Staatsmedien fokussierte Laura Loew in ihrem Vortrag andere Schwerpunkte. Frau Loew, die in Gießen osteuropäische Geschichte studiert und am dortigen Institut für osteuropäische Geschichte mitarbeitet, machte hierbei deutlich, dass eine ausgewogene Informationsgewinnung für die russische Bevölkerung sehr schwierig sei. So existierten in Russland laut Loew keine unabhängigen Medien, da seit 2008 alle TV-Sender in der Hand der russischen Regierung seien und diese staatlichen Medien einseitig Putins Ziele propagandistisch verbreiteten. Da zugleich oppositionelle Gruppen in ihrer Berichterstattung durch Mordaufrufe in ihrer Arbeit gehindert würden, hätte die russische Bevölkerung laut Frau Loew nur über noch wenige soziale Netzwerke Zugang zu westlichen Medien. Eine Einschätzung des Wissensstands zum Ukrainekrieg sei daher laut der Osteuropa-Expertin schwierig. Frau Loew ergänzte, dass es in Russland dennoch verschiedene Formen des Protests gäbe, der sich offen in Demonstrationen, verdeckt in Kunst im öffentlichen Raum und durch Auswanderung zahlreicher Oppositioneller äußere.
Mitschuld des Westens am Ukrainekrieg? Wie weit geht Putin?
Interessante Fragen an die beiden Osteuropa-Experten ergaben sich auch aus dem breiten Publikum, zu dem neben Schülerinnen und Schülern der Goetheschule auch Lehrkräfte sowie weitere Interessierte gehörte. Eine Frage, die auch seit Kriegsbeginn in Deutschland immer wieder kontrovers erörtert wird, betrifft die Frage der westlichen Mitschuld. Frau Loew und Herr Bömelburg erklärten, dass dies zwar eine berechtigte und diskutable Frage sei. Zugleich machten sie aber einmütig deutlich, dass es bis zum russischen Angriff von westlicher Seite genügend Angebote an Putin gegeben habe und keine entsprechende Schuld des Westens erkennen könnten. Eine andere Frage zielte auf die Reichweite der Ziele ab, die Wladimir Putin noch verfolge. Eine genaue Einschätzung hierzu sei laut Herrn Bömelburg schwierig. Jedoch meinte der Osteuropa-Experte, dass Wladimir Putin angesichts seines Geschichtsverständnis und seiner Reden die Wiederherstellung der Sowjetunion im Blick habe.
Weitere Veranstaltungen des Gießener Zentrums östliches Europa
Beeindruckt vom Wissen der beiden Osteuropa-Experten und dem hohen Diskussionsniveau zeigte sich Annette Kerkemeyer, die Frau Loew und Herrn Bömelburg für ihre Vorträge im Namen der Goetheschule sehr herzlich dankte. Laut der stellvertretenden Schulleiterin seien solche Veranstaltungen zur politischen Orientierung sehr wertvoll. Die Initiative für diese Veranstaltung ging von den beiden Lehrkräften Holger Sturm und Mathias Fich aus, die die Veranstaltung auch moderierten. Weitere digitale Informationsveranstaltungen zum Ukrainekrieg bietet das Gießener Zentrum östliches Europa (GIZO), die auf der gleichnamigen Homepage des erwähnten Instituts zu finden sind.