Vom Februar 2011 bis Januar 2012 hatte die Goetheschule mit Candelaria Martinez eine argentinische Gastschülerin. Sie selbst hat über ihre Zeit in Wetzlar einen eindrucksvollen Bericht verfasst. Ihre schulische Heimat waren vor allem die Leistungskurse Spanisch und Englisch. Gemeinsam mit der TG Herrmann nahm sie im September 2011 an der Studienfahrt nach Madrid teil. Unsere Fotos zeigen die TG Herrmann mit Candelaria als Dritte von links vor dem Königlichen Palast, dem Palacio real, in Madrid. Lesen Sie den Bericht von Candelaria Martinez und die Zeilen, die Ihre Tutorin, Frau Herrmann, dazu verfasst hat. |
Am 26. Februar 2011 bin ich nach Deutschland gekommen.
Es war kalt, es gab fast keine Sonne und ich konnte kein Wort auf Deutsch sagen. Gar keins.
Aber ich war total aufgeregt, weil ich in Deutschland war und alles schön war. Ich war verliebt in die Wetzlarer Altstadt. Alles alt, aus Stein und Holz.
Mein erster Tag in der Schule war nicht gut. Die Schule ist ganz anders als in Argentinien. In meiner argentinischen Schule gab es 350 Schüler, nur 350. Ich hatte immer die gleiche Klasse mit den gleichen Leuten und die Schule war nicht so groß.
Mein erster Stundenplan war sehr komisch: Ich hatte nur 4-5 Stunden pro Tag.
Ich erinnere mich, dass ich in meiner ersten Stunde an meinem ersten Tag Englisch LK in der 13. Klasse hatte. Ich hatte keine Ahnung, wo der Raum war. Ich bin zum Sekretariat gegangen und da hat man mir gesagt: "Du gehst die Treppe hoch und du findest das".
Ich war total verloren.
Dann bin ich in die Pause mit einem netten Mädchen gegangen. Sie war die einzige, die mit mir gesprochen hat. Und ich habe mich gefragt: "Was mache ich denn falsch?" In Argentinien, wenn jemand neu auf der Schule ist, spricht die ganze Klasse mit ihm und stellt viele Fragen.
Aber dann habe ich gemerkt: Ja, Cande, Du bist jetzt in Deutschland. Es ist richtig, was ich in Argentinien über die Deutschen gehört habe, dass sie kalt sind, nicht offen und nicht an anderen Leuten interessiert.
Danach hatte ich Spanisch LK in der zwölften Klasse (jetzt 13) und das war das beste, was mir passieren konnte. Die Leute waren so nett, da konnte ich wirklich kommunizieren und ich habe mich ein bisschen wie "zu Hause" gefühlt.
Die zweite Woche Schule habe ich meinen Stundenplan gewechselt. Ich habe mir gesagt: "Mit weniger Stunden werde ich nicht viel Deutsch lernen und nicht viele Leute kennen lernen". Deswegen habe ich mehr Unterricht genommen. Das war eine gute Entscheidung.
Am Anfang fand ich es nicht wichtig, Deutsch zu lernen. Ich habe gedacht, dass ich Englisch sprechen kann, und weil fast alle hier Englisch sprechen können, konnte ich mich gut unterhalten.
Ich hatte viel Heimweh, ich hatte Momente, in denen ich das erste Flugzeug nach Argentinien nehmen und nach Hause gehen wollte, ich hatte Momente, in denen ich mich gefragt habe: "Werde ich das ganze Jahr hier bleiben? Werde ich das schaffen?"
Danach hatte ich einen kleinen (sehr kleinen) Deutschkurs. Ich hatte einen Monat lang anderthalb Stunden Deutsch pro Woche. Fast nichts.
In meinem dritten Monat ist alles viel besser gelaufen. Vorher war es nicht schlimm, aber ich konnte kein Deutsch, ich kannte nicht viele Leute und es war für mich ein "Kulturschock".
In meinem dritten Monat habe ich angefangen, Deutsch zu reden. Ich dachte immer noch, dass es schwer ist, aber ich habe bemerkt, dass es sehr wichtig ist, Deutsch zu reden, weil es so einfacher ist, sich in Deutschland einzuleben. Seit ich Deutsch sprechen konnte, ist in der Schule alles besser gelaufen, aber der Unterricht war natürlich schwer für mich.
Als ich in Europa und Deutschland gereist bin, habe ich viel gelernt. Ich habe viele Leute kennengelernt und sie haben mir viel beigebracht. Ich habe jede Reise voll genossen.
Ich bin erstaunt, wie gut alles in Deutschland funktioniert. Alles ist perfekt. Es gibt keine armen Leute, alle Kinder gehen zur Schule, fast die ganze Gesellschaft ist Mittelklasse, die Busse sind pünktlich, ganz pünktlich. Alle sind pünktlich hier, und das war am Anfang ein "Problem" für mich, weil ich es nicht gewohnt war.
Ich habe sehr viele Busse und Züge verpasst, und deswegen war ich oft spät. Aber jetzt bin ich es schon gewohnt, und ich liebe es, pünktlich zu sein, weil ich glaube, dass es ein Symbol von Respekt ist.
Heute möchte ich Deutschland nicht verlassen. Ich bin schon daran gewöhnt und jetzt, wo alles gut ist, muss ich "nach Hause" fahren.
Ich kann mich nicht von der deutschen Sprache trennen. Ich habe nicht Deutsch gelernt, ich habe Deutsch gelebt. Es gibt deutsche Worte und Sätze, die es auf Spanisch nicht gibt und die ich brauche. Ich werde es sehr vermissen, Deutsch zu sprechen.
Wenn ich mit meiner Mutter skype, gibt es Wörter, die ich auf Deutsch sagen muss, weil ich einfach nicht denke und die deutschen Wörter kommen von alleine.
Aber ich muss sagen, dass ich die Sprache immer noch schwer finde. Frag mich nicht über Grammatik, weil ich keine Ahnung habe. Ich habe das nie gelernt: Der, die oder das? Bitte! Warum drei Artikel? Warum????
Wenn ich in Argentinien sein werde und jemand sagt: "Die Deutschen sind bestimmt kalt", werde ich sagen: "Du weißt es nicht, wie sie sind. Du kannst das denken, aber nicht wissen, ob das richtig oder nicht ist. Ich habe die Deutschen erlebt, ich verstehe, wie sie ticken: Sie brauchen Zeit, sie möchten wissen, wer man ist, aber wenn du deutsche Freunde hast, weißt du, dass Du ihnen wirklich vertrauen kannst".
Vorher wollte ich in ein anderes Land gehen, aber die Organisation, mit der ich gekommen bin hat mir gesagt, dass ich nach Deutschland komme und ich habe gesagt: "Ok, mal gucken wie Deutschland ist".
Und jetzt bin ich einfach glücklich, dass ich nach Deutschland gekommen bin.
Und wir, der Leistungskurs Spanisch, hatten das Glück, ein Jahr und eine Reise nach Madrid mit Cande verleben zu dürfen. Sie hat nicht nur unseren Unterricht durch ihre (argentinische) Perspektive bereichert, sondern ist uns allen so ans Herz gewachsen, dass beim Abschied einige Tränen flossen. Candes Jahr in Deutschland war ein Austausch im besten Sinne des Wortes: Sie hat viel aus Deutschland mitgenommen und gleichzeitig hat sie die Menschen hier durch ihre offenen, lustige Art für sich eingenommen und hinterlässt viele positive Erinnerungen. Wir hoffen jedenfalls, dass die Sehnsucht nach deutscher Pünktlichkeit Anlass für weitere Deutschland-besuche sein wird: ¡Ojalá que vuelvas pronto!
(Frau Herrmann für den Leistungskurs Spanisch)